"Die Tage sind dadurch voller!"


  • Über die Herausforderungen der Krise, Part One

    Die Folgen der Corona-Krise sind bereits jetzt zu spüren und führen zu Unsicherheit auch in Bildagenturen. Warum eigentlich? Denn das Business läuft ja doch in gewissem Sinne weiter. Das Procedere ist durchgängig digital, man hat die "Schmerzen der Digitalisierung" ja bereits hinter sich. Oder irre ich da?

    Pictorial sprach mit Oliver Hamann, Head of Sales der Berliner Agentur ullstein bild (eine Marke unter dem Dach der Axel Springer Syndication GmbH), über die neuen Herausforderungen, die für Bildagenturen und ihre Kunden in Zeiten der Quarantäne zu bewältigen sind.

    Da unser Gespräch doch lange und ausführlich war, haben wir uns entschlossen, es in zwei Teilen zu veröffentlichen. Part zwei kommt in der nächsten Woche.


    • Herr Hamann, gerne würde ich bei unserem Gespräch mit der Agenturseite ansetzen. Wie hält man derzeit eine Bildagentur am Laufen? Dann auf die Situation auf Kundenseite zu sprechen kommen. Last but not least interessiert mich natürlich auch die Situation Ihrer Fotografen und Ihrer Partneragenturen.
    Zum Auftakt: Wie läuft das Krisenmanagement bei Ihnen praktisch? Haben Sie ihre Mitarbeiter ins Home office gesetzt?

    Oliver Hamann: Ja, glücklicherweise waren fast alle Mitarbeiter von ullstein bild bereits vor Beginn der Corona-Krise für Mobile Office ausgestattet. Wir konnten also schnell reagieren, als vor drei Wochen die Aufforderung kam, aus Sicherheitsgründen und zum Schutz unserer Mitarbeiter ins Home Office zu wechseln.

    Eine Kollegin hält im Büro die Stellung und nimmt Post und Kuriersendungen entgegen. Ich hatte zuerst Sorge, dass sie dort unter Vereinsamung leiden würde. Aber sie hat mir glaubhaft versichert, dass sie - als Norddeutsche - das ‚Social Distancing‘ gut wegstecken kann...

    • Können Ihre Kunden das auch so gut?
    Oliver Hamann: Das fragten wir uns auch: Denn die größere Herausforderung zu Beginn der Home Office-Zeit war, wie wir zielgerichtet unsere Kunden informieren, dass ihnen unser Service wie gewohnt zur Verfügung steht. Es war nicht klar, ob und wo sie gerade arbeiten, welche Kommunikationsmittel ihnen zur Verfügung stehen, auf welchem Weg wir sie am besten erreichen. Wir haben das dann per Newsletter, auf unserer Website sowie über unsere SocialMedia-Kanäle gespielt und die Auswertungen haben gezeigt, dass die Quote erreichter Kunden sehr gut war. Im Nachgang haben unsere Sales-Mitarbeiter zusätzlich telefonisch Kontakt aufgenommen.

    • Das klingt ein wenig auch nach Telefonseelsorge für Menschen, die mit der ungewohnten Home-Office-Situation erst mal klar kommen müssen!
    Oliver Hamann: Nach der ersten Woche haben wir den Eindruck, dass sich viele unserer Ansprechpartner, die inzwischen auch fast alle aus dem Home Office arbeiten, über den Telefonkontakt sehr freuen. Die Gespräche laufen oftmals eher unter der Prämisse, zu hören, wie es unseren Kunden im Allgemeinen geht. Der verkäuferische Aspekt muss nicht immer im Vordergrund stehen.

    • A propos: Verkäufe. Wieweit hatten Sie da mit Einbrüchen zu kämpfen?
    Oliver Hamann: Glücklicherweise haben wir bislang keine nennenswerten Stornierungen oder Erlösrückgänge zu verzeichnen. Als Anbieter von hauptsächlich historischen Bildern arbeiten wir viel mit Ausstellern, öffentlichen Einrichtungen sowie Filmproduktionen. Hier sind die Vorlaufzeiten entsprechend lang und bislang gibt es nur vereinzelt Verschiebung von Projekten oder Terminen.

    • Darf ich noch mal zurück? Wie kann man als Unternehmen die so erzwungene Dezentralisierung organisatorisch und kommunikativ bewältigen?
    Oliver Hamann: Die erzwungene Dezentralisierung, wie Sie das treffend bezeichnen, ist in der Tat nicht so einfach zu managen. Gerade bezüglich der Kommunikation, der internen Abstimmung über Vorgänge und Abläufe, ist es ein nicht zu unterschätzender Unterschied, ob ein*e Kollege*in nur einen Tag in der Woche, oder ob das gesamte Team fünf Tage die Woche im Home Office arbeitet.

    Alleine für das Aufrechterhalten der Minimalkommunikation sind enorm viele Video/Telefonkonferenzen notwendig. Es müssen ja nicht nur die Geschäftsleitung, sondern auch die verschiedenen ‚Gewerke‘ wie IT-Abteilung, Content-Beschaffung, Archiv- und Fotografenbetreuung sowie Sales im Austausch miteinander bleiben.

    • Wie darf ich mir einen solchen "Krisenarbeitstag" konkret vorstellen?
    Oliver Hamann: Der Vormittag ist üblicher Weise mit bis zu vier Video/Telefonkonferenzen gefüllt. Ab Spätvormittag läuft das übliche Tagesgeschäft, nachmittags oftmals unterbrochen von weiteren Video- bzw. Telefonkonferenzen. Die Tage sind dadurch in der Tat voller als wenn man im Büro arbeitet. Wir arbeiten mit der Software Microsoft Teams als Kommunikationsmittel und es wird allgemein als anstrengend empfunden, die vielen verschiedenen Chat- und Kommunikationskanäle sowie zusätzlich den Mailverkehr mit Externen im Blick zu halten.

    Wir sind ja teil eines Konzerns und so kommen zusätzlich auch Informationen vom Vorstand, aus der Personalabteilung, den Redaktionen und anderen Abteilungen. Was in der neuen Arbeitssituation nahezu völlig fehlt, ist der soziale Aspekt der gemeinsamen Arbeit im Büro; der kurze Austausch in der Küche, der kleine Scherz im Großraum oder auch der gemeinsame Lunch in der Kantine. Obwohl es sonst nicht meine Art ist, im Job mit Smileys oder GIFs zu arbeiten, habe ich begonnen, in unserem Team-Chat die Begrüßung zum Arbeitstag und die Verabschiedung in den Feierabend mit etwas nettem zu bebildern. Ich denke, bei dem ein oder anderen sorgt es zumindest für ein Schmunzeln.

    • Ich könnte mir aber auch gut vorstellen, dass diese neue Form des Arbeitens durchaus auch ihre Freunde findet. Was schätzen Sie? Wird nach der Corona-Krise vielleicht doch das eine oder andere aus dieser Zeit weiter übernommen werden?
    Oliver Hamann: Es gibt bei uns einige Befürworter, die für mehr als die bei Axel Springer bislang möglichen 20% Home Office plädieren. Ich glaube, nach der Krise wird sich diese Forderung erübrigt haben, oder wie es eine Kollegin kürzlich so nett ausgedrückt hat ‚office, sweet office‘.

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