image market 2021 – Corona und die Bildbranche


  • Grafik: Maximilian von Lachner

    Teil I: Der Bildmarkt insgesamt ist um ein Viertel eingebrochen

    Es ist ja mittlerweile zur Tradition geworden: Professor Lars Bauernschmitt - er lehrt an der Hochschule Hannover und der Justus-Liebig-Universität Gießen - veröffentlicht seine jährlichen Untersuchungen zum Bildmarkt und wir reden dann zusammen über die Ergebnisse: Was fällt auf? Was erstaunt? Wo gibt es markante statistische Linien? Wo hätte man spontan andere Resultate vermutet?

    Und es ist auch Tradition, dass das Gespräch zu lange währt, so dass man es am Besten in zwei Portionen serviert.

    Im heutigen Teil I erfahren wir die Konsequenzen, die Corona 2020 auf die Bildbranche hatte. Dass dieses Pandemie-Jahr verheerend sein würde, damit haben wir alle ja gerechnet. Nur: Jetzt haben wir die konkreten Zahlen. Für Fotografen und für Bildagenturen.

    Nach diesem ersten "Fakten-Teil" unseres Gesprächs werden wir dann in Teil II über die Zukunft der Bilderbranche nach dem Ende der Pandemie reden - ja, wir gehen davon aus, dass es das geben wird. Schafft Corona "neue Tatsachen" oder ist sie nur einfach ein "Brandbeschleuniger" für Entwicklungen, die sich schon länger abzeichnen? Wir suchen nach Gewinnern der Krise, und wir reden auch über Bild-Ästhetik, über die Art der Bildillustration, die erschreckende Einfallslosigkeit bei der fotografischen Bebilderung der Corona-Thematik.

    • Herr Prof. Bauernschmitt, alle Achtung! Dass Sie sich überhaupt aufgemacht haben, dieses missratene Jahr 2020 statistisch zu erfassen! Lohnt die Erkenntnis - im Sinne einer kontinuierlich-langfristigen Untersuchungsreihe betrachtet - den Aufwand? Oder hätte es nicht auch gereicht, zu sagen: "Alles Bullshit, vergessen wir dieses bucklige Jahr."?
    Lars Bauernschmitt: Sie haben recht, das Jahr 2020 war ein extrem schlechtes Jahr! Auch wenn bestimmte negative Entwicklungen schon seit mehreren Jahren zu beobachten sind, gab es 2020 noch einmal einen extremen Ausschlag nach unten. Ich fand es trotzdem wichtig, gemeinsam mit meinem Mitarbeiter Maximilian von Lachner, auch das Jahr 2020 zu untersuchen.

    Natürlich wäre es wenig sinnvoll, das Jahr 2020 allein zu betrachten, aber ich führe ja schon seit 2018 Erhebungen zum deutschen Bildermarkt durch und erstelle derzeit eine Langzeitanalyse des Handels mit Nutzungsrechten an Bildern seit 1990. Da gehört dann eben auch das Jahr 2020, auch wenn es ein besonderes ist, dazu.

    • Ach, Herr Professor, ich gebe ja zu: Meine Eingangsfrage war wirklich eine üble, effekthascherische Provokation! Natürlich ist das Jahr auch wichtig. Zumal es in einer Reihe steht.
    Lars Bauernschmitt: Ja, darüber hinaus war die Erhebung auch wichtig, weil wir seit 2018 in jedem Jahr nicht nur allgemeine Fragen zu Umsatz und Bildbestand stellen, sondern immer auch spezielle Aspekte der Arbeit der Bildagenturen untersuchen. So hatten wir 2019 ja neben den allgemeinen Fragen auch nach Überlegungen zu Strategien und Perspektiven der Bildagenturen und der Befindlichkeit der Verantwortlichen gefragt.

    2020, als die Erhebung nicht nur in Kooperation mit dem BVPA erfolgte, sondern auch in Zusammenarbeit mit den Interessenvertretungen der Fotograf:innen, hatten wir beide Gruppen, Bildagenturen und Fotograf:innen, zu Themen ihrer Zusammenarbeit befragt. In diesem Jahr haben wir, aus aktuellem Anlass, einen großen Corona-Block gehabt. Dieses Jahr war die Erhebung für uns aber auch wichtig, weil wir eine Reihe von Fragen gestellt haben, die wir so bereits in der Vergangenheit gestellt hatten, um die Ergebnisse in eine aktuell laufende Meta-Analyse bezüglich der Erhebungen der letzten dreißig Jahre einfließen zu lassen.

    • Die aktuelle Situation macht wohl jeden Betrachter traurig: Fotografen und Bildagenturen haben mit massiven Rückgängen zu kämpfen. Nennen Sie uns die nackten Zahlen?
    Lars Bauernschmitt: Die sind schnell erzählt. Alle haben von 2019 auf 2020 verloren. So büßten die Fotograf:innen 23,7 Prozent ihrer Umsätze ein, während die Agenturen sogar 26,3 Prozent verloren. Besonders stark betroffen waren in unserer Erhebung die Fotojournalist:innen. Sie verloren sogar 34,0 Prozent.

    • Das ist ein Ergebnis, das mich persönlich erstaunt hat: In toto trifft es die Agenturen härter als die Fotografen! Ich hätte zum Beispiel spontan vermutet, dass das "Archiv-Geschäft" im Vergleich zur aktuellen Produktion eher weniger leiden würde...
    Lars Bauernschmitt: Ihre Vermutung ist richtig. Das auf den ersten Blick gegenteilige Ergebnis macht ein Definitionsproblem deutlich. Ich komme gleich darauf zurück, zunächst nur ein Hinweis. Wir haben in unseren Ergebnissen einen Unterschied von zwei Prozent zwischen den beiden Gruppen formuliert. Da wir aber mit einer schmalen Datenbasis arbeiten, würde ich erstmal eine gewisse statistische Unschärfe einkalkulieren und die Differenz nicht überbewerten. Was man trotzdem sagen kann, ist, dass der Bildermarkt insgesamt um ungefähr ein Viertel eingebrochen ist.

    Was wir aber für die Zukunft klären müssen, ist der Begriff Foto- oder Bildagentur. Traditionell wurden unter dem Begriff sowohl Ein-Personen-Unternehmen als auch weltweit tätige Konzerne zusammengefasst. Der Fotograf, der seine eigenen Bilder unter einem groß klingenden Firmennamen vertreibt, steht in den Betrachtungen und Erhebungen schon immer neben großen Agenturen wie dpa, imago, Mauritius oder Getty, Shutterstock und anderen. Das muss man aber differenzieren. Die Hälfte der BVPA-Mitglieder und alle nicht im Verband vertretenen Agenturen, die sich an der Erhebung in diesem Jahr beteiligten, haben weniger als 10 Mitarbeiter:innen. Betrachtet man die Umsatzverluste im Verhältnis zum Vorjahresumsatz, fällt auf, dass die Agenturen die 2019 schon einen Umsatz von unter 100.000 Euro gemacht haben, über 30 Prozent an Umsatz eingebüßt haben, während die Agenturen, die höhere Umsätze erzielten, nur Verluste in Höhe von ungefähr 20 Prozent hatten.

    Auffallend sind die höheren Einbußen bei den nicht im BVPA vertretenen Agenturen gegenüber den im Verband vertretenen Bildagenturen. Gleichzeitig gab es unter den BVPA-Agenturen einige, die nichts verloren oder sogar gewonnen haben, und einige, die ganz extrem eingebüßt haben. Das weist darauf hin, dass wir es unter den Bildagenturen mit einer extrem heterogenen Gruppe zu tun haben. Wir sehen, wie sich große und kleine Bildagenturen seit Jahren - sowohl bezogen auf die Bildmenge als auch bezogen auf den Umsatz - immer weiter auseinander entwickeln. Das erkennt man ganz deutlich daran, dass sich Mittelwert und Median immer weiter voneinander entfernen.

    • Ich denke doch, dass es innerhalb der Agenturen - die ja, wie sie gerade ausgeführt haben, sehr heterogene Unternehmen sind - massive Unterschiede gibt: Welcher Agentur-Typus - Presseagentur, Stockfotografie, Microstock, welches Lizenzmodell etwa - ist am stärksten betroffen?
    Lars Bauernschmitt: Die Agenturen, die am stärksten verloren haben, hatten 2020 die Hälfte ihrer Einnahmen aus Magazinveröffentlichungen erlöst. Die Agentur, die am stärksten zugelegt hat, konnte die meisten Umsätze mit TV-Verwertungen generieren. Die Agenturen, deren Umsätze stabil blieben, waren im Vergleich mit anderen sehr stark in der Werbung oder sehr breit aufgestellt. In diesem Jahr haben wir das aber leider nicht so detailliert gefragt. Da haben wir schon ein wichtiges Thema für die nächste Erhebung.

    • Und bei den Fotografen? Welchen Bereich hat es da am Schlimmsten erwischt?
    Lars Bauernschmitt: Darüber ist ja schon viel geschrieben worden. Alle Fotograf:innen, die von Events berichten oder Hochzeitsfotografie machen, hat es besonders getroffen. Da sind ja im Prinzip alle Termine weggefallen. Bildjournalist:innen haben deutlich verloren. Wer verhältnismäßig gut durch das Jahr kam, waren die Architekturfotograf:innen.

    Während Fotografierende, die sich an dieser Erhebung beteiligten, im Einzelfall bis zu 80 Prozent ihrer Umsätze verloren und insgesamt unter den Bedingungen der Covid-19-Pandemie 2020 wie schon gesagt rund ein Viertel geringere Umsätze erzielen als 2019, fällt auf, dass dieser Rückgang bei den Mitgliedern des BVAF (Anmerkung der Redaktion: Das ist der Bundesverband der Architekturfotografie) deutlich geringer ausfiel. Sie verzeichneten nur einen Umsatzrückgang in Höhe von durchschnittlich 14,1 Prozent, sodass die Jahres-Netto-Umsätze bei ihnen von durchschnittlich 75.547,47 Euro auf 64.882,35 Euro fielen. Während die Zahl werblicher und redaktioneller Fotoaufträge insgesamt reduziert und im Umfang zurückgefahren wird, scheint die Architekturfotografie von der Krise weniger stark berührt. Ein bereits vor der Corona-Pandemie durch niedrige Zinsen verursachter Bauboom zieht die Notwendigkeit einer Dokumentation von Projekten nach sich, die nicht kurzfristig gestoppt werden können, sondern beworben und vermarktet werden müssen.

    Während also Veranstaltungen wie Filmpremieren oder Galas abgesagt werden und die Anlässe zum Fotografieren damit entfallen, werden Gebäude auch in der Krise fertiggestellt. Gleichzeitig lassen sich auf Baustellen und in gerade fertiggestellten Gebäuden besser die Hygienevorschriften einhalten, die andernorts die Arbeit von Fotograf:innen behindern oder unmöglich machen.

    • Kommen wir zur Pandemie-Bewältigung: Es wurden ja riesige Summen auf nationaler und internationaler Ebene aktiviert, die - in Bereichen der Industrie, der Luftfahrt, der Reisebranche etwa - die Ausfälle teil-kompensieren sollten. Wie sieht es da in unserer Branche aus? Kam da etwas an?
    Lars Bauernschmitt: Der durchschnittliche Umsatz der Bildagenturen in Deutschland fiel 2020 gegenüber dem Vorjahr um 26,3 Prozent. In dieser Situation nahm jedoch nur etwas mehr als die Hälfte der an dieser Erhebung beteiligten deutschen Bildagenturen bis zum Februar 2021 Coronahilfen des Bundes oder der Länder in Anspruch, deren Höhe zwischen 2.000 Euro und 90.000 Euro lag. So stehen allein bei den 27 deutschen Bildagenturen, die sich an der Erhebung beteiligten, Umsatzeinbußen in Höhe von fast neun Millionen Euro Hilfen in Höhe von 207.400 Euro gegenüber. Das entspricht einer Quote von 2,3 Prozent.

    Trotz dieser erheblichen Einbußen und der geringen Höhe der Förderungen nahmen mehr als 80 Prozent der deutschen Bildagenturen aber auch keine anderen Unterstützungen in Anspruch. Nur 11,5 Prozent wählten Firmenkredite, während 19,2 Prozent private Kredite in Anspruch nahmen. Lediglich 3,8 Prozent konnten Mietnachlässe nutzen. Von den befragten Fotograf:innen nahmen nur knapp 40 Prozent der Befragten keine Cornonahilfen des Bundes oder der Länder in Anspruch.

    • Erstaunlich, dass sehr viele Agenturen und ein noch größerer Anteil der Fotografen erst gar keine staatliche Hilfe beantragt haben. War das Verfahren zu bürokratisch? Nicht praktikabel?
    Lars Bauernschmitt: Wir hatten danach gefragt, wie die Betroffenen die Unterstützungen einschätzen. Während 41,7 Prozent der BVPA-Agenturen und 55 Prozent der Fotograf:innen die Unterstützung von Bund und Ländern als bürokratisch einschätzten, waren das bei den nicht im BVPA vertretenen Agenturen 90 Prozent.

    • Vielen Dank erstmal für heute, wir reden ein andermal weiter...

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