Pfiat di! Oliver Hamann geht in den Ruhestand


  • Er zählt schon so lange zur Bilderbranche - man traf ihn auf Festivals und Messen, Konferenzen und Kongressen - er ist eine der markanten Persönlichkeiten, ohne die man sich die Branche kaum vorstellen kann. Nun aber verabschiedet sich Oliver Hamann in den Ruhestand.

    Seit den frühen Achtzigerjahren war Oliver Hamann im Bildgeschäft engagiert, in unterschiedlichen Rollen: als Fotograf, als Agentur-Gründer und Inhaber von ASA Fotoagentur (München), bei der dpa Picture-Alliance (Frankfurt), Getty Images Deutschland (München), SID Sport-Informations-Dienst (Köln), der Nachrichtenagentur dapd (Berlin), zuletzt bei der Axel Springer Syndication, zu der das Fotoarchiv von ullstein bild gehört.

    Kurzum: Von München ausgehend fand er seinen persönlichen Weg in dieser Branche.

    Zu seinem Abschied reden wir über die Zukunft, über alte Zeiten, über Literatur, über Europäer und Amerikaner - und über neue Herausforderungen im Land der Elche…


    Mit Oliver Hamann sprach Stefan Hartmann

    • Pictorial: Herr Hamann, Sie gehen in den Ruhestand, bedeutet das Mehrarbeit für Kommissar Grillmayr, Franz-Josef? Denn bisher führte er doch ein recht faul-beschauliches Leben mit gerade mal drei Fällen...
    Oliver Hamann: Naja, faul-beschaulich .... das finde ich nicht wirklich. Immerhin musste sich 'mein' Kommissar in einem völlig neuen Umfeld zurechtfinden, als Bayer mit einer südländischen, gänzlich anderen Mentalität auseinandersetzen und sich sozusagen mühsam zurechtruckeln, auch wenn Fuerteventura vorher sein bevorzugtes Urlaubsdomizil war. Dazu aber später noch mehr.

    • Pictorial: Ja, nur wenige in der Bilderbranche wissen es, aber Sie haben ein "heimliches" Leben als Krimi-Autor! Ihr Held, ein bayerischer Verbindungskommissar, ermittelt auf Fuerteventura. Wie sind Sie denn auf diese Idee gekommen? Einen Münchner auf eine spanische Atlantik-Insel vor Afrika zu verpflanzen?
    Oliver Hamann: Das war - ich zitiere gerne aus dem Stück "Ein Münchner im Himmel" des Bayrischen Autors Ludwig Thoma - eine göttliche Eingebung. Die Bayerische Staatsregierung wartet ja angeblich bis heute noch auf so etwas. Bei mir hat es unmittelbar funktioniert!

    Um konkret zu werden: ich laufe, renne, jogge gerne. Bei einem abendlichen Lauf am Strand von Costa Calma auf Fuerteventura herrschte eine seltsame, fast unheimliche Stimmung. Diese wird in meinem ersten Fuerte-Krimi "Der Wasserkrieg" auch beschrieben. Rauschende Wellen, tief stehende Sonne, ein wilder Wind, der Staub aus der Sahara über das Meer herüber trägt (Calima nennen sie das auf den Kanaren) und der ein gespenstisches, milchiges Licht verursacht. Und dann steht auf einer Klippe - etwa 30m über dem Strand - ein Streifenwagen der Policia Local.

    Also überlegte ich, was da los sein könnte und plötzlich prasselten die Ideen und handelnden Personen für einen Krimi in mein Hirn. Dort herrschte wohl gerade urlaubsbedingte Flaute, der Kopf war frei von Gedanken an Verkaufszahlen, Lizenzrechte, Doppelseiten, etc. So wurde ich also zum 'Mondschein-Autor', wie ich es selber nenne. Auf Grund meiner knapp bemessenen Freizeit habe ich meist abends bis in die Nacht hinein geschrieben.

    • Pictorial: Lassen wir die Mörder vorerst ziehen, kommen wir zur Picture industry? Sie waren jaIhr Berufsleben lang in der Bilderbranche engagiert. Als Sportfotograf, als Agentur-Mann, zuletzt als Head of Sales und Marketing-Leiter bei ullstein bild, Mitglied der Geschäftsleitung der Axel Springer Syndication. In gewissem Sinne haben Sie so Aufstieg und Fall der europäischen Bilderbranche in Ihrer persönlichen Vita hautnah erlebt. Mit welchen Empfindungen verabschiedet man sich da? Lachend, weinend?
    Oliver Hamann: Eine herausfordernde Frage, lieber Herr Hartmann, und ich komme mir seltsam alt vor, wenn ich sage, "früher, das waren Zeiten!" Ich würde aber keinesfalls sagen, dass früher alles besser war: Es war eben nur anders. Schließlich hatte ja auch ich einen Anteil an den Entwicklungen, die stattgefunden haben.

    Jedenfalls hat sich die Bildbranche seit meinem Einstieg enorm gewandelt und das in einem Tempo, das damals, in den Achtzigern, kaum vorstellbar war. Aber auch da gab es schon die heute viel besprochene 'Disruption'. Beispielsweise durch Newcomer, die mit anderen Preismodellen den etablierten Sportfoto-Agenturen Marktanteile wegnahmen. Dennoch konnten damals noch alle ziemlich gutes Geld verdienen.

    • Pictorial: Ihr letzter Satz legt nahe, dass dies heute nun nicht mehr der Fall sein könnte…
    Oliver Hamann: Wenn ich die heutigen Honorare betrachte, die man mit Fotoverkäufen erzielen kann, wundere ich mich, wie das - kaufmännisch gesehen - gut gehen soll. Denn aktuelle Nachrichten- oder Sportfotos zu produzieren, ist nach wie vor aufwändig und teuer. Ja, die Vertriebskanäle sind durch die Digitalisierung anders, einfacher und schneller geworden. Aber das Business an sich ist deswegen nicht unbedingt günstiger zu betreiben als früher. Heute muss man das Geld, das man noch in den 90igern für Filme, Fotopapier, Chemikalien und Postporto ausgab, eben in IT-Technik investieren. Und das sind meist hohe Beträge, denkt man z.B. nur an eine Bilddatenbank.

    Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Ich konnte - auf meine Art - viel bewegen, viel erreichen, dafür bin ich dankbar. Aber ehrlich, hochpreisiges Verkaufen, das ist genau mein Ding. Ich habe unter anderem exklusive Home-Stories für hohe fünfstellige Beträge - D-Mark wie Euro - an Illustrierte und andere Medien verkauft, da macht es kaum Freude, sich mit Verkäufen im einstelligen Euro- oder gar Cent-Bereich zu beschäftigen.

    Um Ihre vorhergehende Frage zu beantworten: Es war damals analog, aufregend, spannend, bewegend - und bis auf das Wort analog ist es das auch heute noch. Ich schaue mit Stolz und Freude auf meine Karriere zurück und habe nun das Glück, mit Freude nach vorne zu schauen, mich endlich ausgiebig meiner Familie und auch meinen Hobbies widmen zu können.

    • Pictorial: Haben Sie das Gefühl, dass Sie mit der Bilderbranche eine professionell agierende Branche verlassen, die ihr Produkt effizient und erfolgreich vermarktet? Ich frage jetzt erstmal ausschließlich aus einer europäischen Sicht heraus.
    Oliver Hamann: Wenn wir von Deutschland reden, ein klares Nein, leider. Geht es um Europa, sieht es meiner Meinung nach nur wenig besser aus.

    • Pictorial: Sie waren ja nicht nur bei europäischen Agenturen engagiert, wie dpa picture alliance oder SID Sport-Informations-Dienst (einer AFP-Tochter), sondern auch bei Getty Images, dort als Mitglied der Geschäftsleitung Deutschland. Sie haben also auch die Amerikaner erlebt. Die Frage treibt mich immer noch um: Was haben die US-Big Player anders gemacht? Was sind die Gründe, warum die deutschen – oder auch europäischen – Agenturen der Dominanz der amerikanischen Global Player so wenig entgegen gesetzt haben? Der Bildmarkt in den USA ist - cum grano salis - in etwa so groß wie der europäische. Mit dem Blick zurück: Ab welchem Zeitpunkt begannen die Europäer etwas falsch zu machen, so dass sie nun nicht mehr mithalten können?
    Oliver Hamann: Ich habe in vielen Verlagshäusern mit Geschäftsführern, Chefredakteuren, Fotochefs und Einkäufern Verträge verhandelt. Dabei habe ich auch sehr tiefe Einblicke bekommen über Sorgen, Ideen, Gedanken und Pläne, die die Führungskräfte in den Häusern von Flensburg bis Leutkirch umgetrieben haben. Ich glaube, dass wie im Verlagsgeschäft, auch in der Bildagentur-Branche sehr lange, manchmal zu lange, in den altbewährten Mustern verharrt wurde.

    Anstatt sich rechtzeitig über neue, digitale Geschäftsmodelle wirklich Gedanken zu machen, den Mut zu haben auszusprechen, dass man tiefgreifende Veränderungen wird vornehmen müssen, und das dann auch mit entsprechenden Investitionen anzufeuern, wurde viel darüber nachgedacht, wie man die bestehenden Geschäftsmodelle bis zum Äußersten ausquetschen kann, um schwarze Zahlen zu schreiben.

    • Pictorial: Ja, viele Agenturen waren lange findig und kreativ, immer neue Zusatzkosten für ihre Kunden zu ersinnen: Bereitstellungskosten, Blockiergebühren etc. Die Käufer mussten es akzeptieren. Genau wie die Fotografen, die über Katalog-Kosten am Vertrieb beteiligt wurden.
    Oliver Hamann: Der Bildermarkt in Europa hat ja so lange gut funktioniert, bis jemand aus den USA die Zeit reif fand, etwas anders zu machen. Meiner Meinung nach haben wir es schlichtweg versäumt, unsere Branche mit Entschlossenheit weiterzuentwickeln, neue Ideen zuzulassen, etwas zu wagen und auch Misserfolge in Kauf nehmen zu wollen.

    Der Zeitpunkt der 'Wende' war für meine Begriffe die Gründung von Corbis durch Bill Gates sowie die Gründung von Getty Images durch Jonathan Klein und Mark Getty, beides Mitte der Neunziger Jahre. Analog gesehen waren die USA damals noch 'weit weg' vom deutschen Bildermarkt. Aber digital gesehen war das Tor zu Europa schon mit Wucht aufgestoßen worden. Die rasant an Fahrt aufnehmende Digitalisierung, das Internet, die globale Verfügbarkeit - gesuchte Fotos standen in Sekundenschnelle zur Verfügung - und die finanzielle Power der Amerikaner, ihre dynamische Vorgehensweise und ihre Entschlossenheit, das alles haben wir - wie ich meine - in Deutschland nicht ernst genug genommen. Zu spät haben wir erkannt, dass sich Markterfordernisse, Kundenbedürfnisse, enorm schnell verändern können und das auch tun.

    Aus meiner Sicht haben uns in Deutschland Bedenkenträgerei, gepaart mit etwas Überheblichkeit und vielen Eitelkeiten, massiv Zeit gekostet. Während in den USA das Motto herrschte 'fail fast, fail often' und man einfach losgelegt, sich auch über Konventionen hinweggesetzt hat, wollten wir allen Dingen erst einmal auf den Grund gehen - und haben Zeit verloren.

    • Pictorial: Neben dem Zeit vertrödeln gab es allerdings bei sehr vielen europäischen Agenturen oftmals auch ein "Investitionsproblem". Die Digitalisierung wurde auch deshalb verschlafen und ignoriert, weil man nicht das Kapital für die Umstellung hatte…
    Oliver Hamann: Ja, Bildagenturen waren in Deutschland meist Kleinbetriebe, der Markt war 'aufgeteilt' wie es so schön hieß. 'Zersplittert' könnte man auch sagen. Die Amerikaner haben das erkannt. Es kamen plötzlich Personen ins Spiel, die Fotografie ganz unemotional betrachtet haben. Bill Gates war (sozusagen) IT-Mann, Jonathan Klein und Mark Getty waren früher Investmentbanker. Sie haben 'Getty Investments' gegründet, was ja schon alles sagt, und das war die Basis für Getty Images. Investitionsbereitschaft von Geldgebern und somit finanzielle Schlagkraft, hohe Technisierung und hohes Tempo, ein großes Portfolio mit Top-Qualität, anspruchsvolle Dienstleistungen wie beispielsweise die Klärung von Persönlichkeitsrechten, das alles hat man in Europa und Deutschland mit einem Lächeln abgetan.

    Während in Deutschland Bildagenturen oft von Fotografen, Bildredakteuren oder Historikern gegründet worden waren, haben sich in den USA Finanz- und IT-Experten zusammengetan und den Markt überrollt.

    • Pictorial: Darf ich nochmal zurück zur Fotografie selbst? Zur modernen Sportfotografie? Gefällt sie Ihnen? Denn seit Ihren aktiven Zeiten als Sportfotograf - etwa bei Werek oder ASA Fotoagentur - hat sich doch enorm viel gewandelt gerade auf diesem Segment...
    Oliver Hamann: Gefallen würde ich nicht sagen. Aber ich finde es durchaus interessant und spannend, was bei den Sportfotografen heute am Spielfeldrand, in den Sport-Arenen, abgeht. Ich musste die Schärfe an meinem Nikon 300mm f2.8 mit der Hand führen, Belichtungszeit und Blende manuell einstellen und oft genug bei Flutlichtspielen im Grünwalder Stadion in München oder auf dem Bieberer Berg in Offenbach den Film auf 3200 oder 6400 ASA pushen um überhaupt mit einem 250igstel fotografieren zu können. In der Dunkelkammer haben wir dermaßen 'gepushte' Filme oft 'auf Sicht' entwickelt. Mit einer fast ganz abgeklebten Rotlichtlampe haben wir während der Entwicklung die Schwärzung der Negative kontrolliert. Und mancher Film hing eine halbe Stunde und länger im Entwickler bis das Negativ brauchbar war. Über der Körnung brauchen wir dann nicht mehr zu sprechen. Das waren Fotos, die eher lediglich einer Dokumentation des Ereignisses dienten, als dass es tolle Sportfotos waren.


    Der Vergleich zur heutigen Zeit ist, als würde das Malen eines Ölbildes im 18. Jahrhundert mit der Arbeit an einem Computer-Tablet verglichen.

    • Pictorial: Starke Metapher!
    Oliver Hamann: Ich erinnere mich, als begonnen wurde, vom Spielfeldrand aus Bilder digital zu verschicken. Remote-Editing war das Zauberwort bei den großen Nachrichtenagenturen. Die Geschwindigkeit der Bildübermittlung glich schon nahezu dem Fernsehen. Als ich für den SID arbeitete, hat man sich 2010 bei der Muttergesellschaft AFP in Paris damit gebrüstet, bei der Fußball-WM nur 190 Sekunden nach Anstoß des Eröffnungsspiels das erste Bild eines Zweikampfes an die Redaktionen geschickt zu haben.

    Schade finde ich, dass nicht viele Sport-Fotografen bei aller Technik und allen Automatiken ihre Bilder kritisch überprüfen und wirklich die zwei oder drei Besten aus einer Serie auswählen. Das Wort 'Daumenkino' kam mit der Digitalfotografie auf und ist bei Bildredakteuren verpönt. Dennoch gibt es Sportfotografen, die endlose scheinende Bild-Serien von Situation schicken und denken, dass sich dann schon jemand die Mühe machen wird, das Beste auszusuchen.

    • Pictorial: Sie scheiden zum 1. Juni 2021 ja bei ullstein bild aus. Hat das Konsequenzen für Ihr Team? Wird es zu Umstrukturierungen kommen?
    Oliver Hamann: Das Team hat viele Herausforderungen angenommen, sich enorm entwickelt und ist hervorragend aufgestellt. Es wird Eigenverantwortung übernommen und ein unglaubliches Fachwissen ist vorhanden - was bei einer historisch geprägten Fotoagentur wie ullstein bild von unschätzbarem Wert ist. Aktuell wird ein Teil meiner Aufgaben vom Leitungs-Team der Axel Springer Syndication übernommen. Ich denke, alles ist bestens bestellt. Und um eine mögliche Nachfolgebesetzung kümmert sich die Geschäftsführung.

    • Pictorial: Wie geht es weiter mit Ihnen persönlich und Ihrer Familie? Ich wage mal die Prognose: In Berlin werden Sie nicht bleiben. Also: Norden oder Süden, wo werden wir Sie künftig finden?
    Oliver Hamann: Ich bemühe mal den Fußballer-Jargon: 'Ob Stockholm oder München, Hauptsache: Schweden'. Da komme ich auf Ihre erste Frage zurück: In einem neuen Umfeld zurechtfinden, als Bayer mit einer nordischen, gänzlich anderen Mentalität auseinandersetzen und sich sozusagen zurechtruckeln; obwohl meine Frau Schwedin ist und wir dort oft Urlaub gemacht haben ist das meine nächste Herausforderung.

    • Pictorial: Gibt es eine kurze Botschaft, die Sie der Bilderbranche zum Abschied zurufen wollen?
    Oliver Hamann: Wenn Sie Platz für 10.000 Zeichen haben ... nein, Spaß beiseite.

    Über unsere Branche hat einmal ein australischer Fotograf in breitestem Dialekt zu mir gesagt: It's simple, you have to strangle the chicken! Auf Deutsch würde ich sagen: Mut haben, dran bleiben und auch das scheinbar Unmögliche denken.

    • Pictorial: Lieber Herr Hamann, da bleibt mir nur übrig, Ihnen Glück zu wünschen und auf gut Bayrisch zum Abschied zu zurufen: "Pfiat di!"




    Bilder:
    Davis Cup Finale 1988 - Göteborg, Oliver Hamann/WEREK
    Portrait Oliver Hamann, Alexander Hassenstein / Getty Images
    Europapokal der Pokalsieger 1985 - Viertelfinale - Hinspiel 1985, Oliver Hamann/WEREK

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