Ein Gespräch über Fotografie und Pandemie mit Dr. Felix Koltermann, Herausgeber des Sammelbands „Corona und die journalistische Bildkommunikation".
Herr Dr. Koltermann, in zwei Sätzen: Worin liegt nun die Bedeutung der Coronapandemie für den Fotojournalismus?
Felix Koltermann: Auf der einen Seite sind gesellschaftliche Krisen seit jeher ein wichtiger Berichterstattungsgegenstand für den Fotojournalismus. Die Besonderheit der Coronapandemie bestand darin, dass die Krise nicht nur ein zu bearbeitendes Thema war, sondern die Fotojournalist*innen auch in ihrem Alltag betraf. Auf der anderen Seite hatten die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie einen großen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen im Fotojournalismus, etwa weil durch das Herunterfahren des öffentlichen Lebens und öffentlicher Veranstaltungen vor allem frei Fotojournalist*innen die Aufträge wegbrachen und insbesondere im Rahmen von Demonstrationen aus dem Milieu der Corona-Leugner*innen berichtenden Fotojournalist*innen ihrer Arbeit unter erschwerten Bedingungen nachgehen mussten.
Wie kam es zur Entscheidung, ein Buch über Corona und journalistische Bildkommunikation herauszugeben? Mussten Sie aus der Not eine Tugend machen?
Dr. Koltermann: Wie alle anderen Menschen in Deutschland auch, betraf die Coronapandemie nicht nur meinen privaten, sondern auch meinen beruflichen Alltag. Nicht nur, dass seit März 2020 über drei Semester lang die Lehre fast ausschließlich online stattfand, auch die Möglichkeit zum Forschen – in meinem Fall zum Thema Bildredaktion – war durch die Pandemie extrem beeinträchtigt. So entstand zum Jahresende 2020 zum einen die Idee, eine Studie über das Homeoffice in den Bildredaktionen durchzuführen. Zum anderen zeigten Gespräche mit meinen Kolleg*innen an der Hochschule Hannover, dass auch andere darüber nachdachten, über die Pandemie zu schreiben. Damit lag es nahe, das Verhältnis der Coronapandemie und der journalistischen Bildkommunikation zum Thema eines Sammelbandes zu machen.
Kurz zu den Inhalten: Wer sind die Autoren des Sammelbandes? Und was sind ihre Themen?
Dr. Koltermann: Alle, die Beiträge für den Sammelband geschrieben haben, sind Lehrende und Forschende am Studiengang „Fotojournalismus und Dokumentarfotografie“ der Hochschule Hannover. Es war ein Ziel des Buches, die unterschiedlichen Kompetenzen in Wissenschaft und Praxis unseres Studiengangs zu bündeln, um damit etwas über die Coronapandemie zu erzählen. Jede/jeder schaute dabei jeweils aus ihrem/seinem Forschungs- oder Arbeitsschwerpunkt heraus auf das Thema. Lars Bauernschmitt etwa schaute sich explizit die medien- und bildökonomischen Implikationen an, während Karen Fromm sich mit Sicht- und Unsichtbarkeitsverhältnissen beschäftigte. Michael Hauri, der in Hannover vor kurzem eine Professur für Digital Storytelling angetreten hat, thematisierte hingegen die Rolle von Datenvisualisierung in einem ausführlichen Gespräch mit Julius Tröger, Head of Visual Journalism bei Zeit Online. Und Anna Stemmler beschäftigte sich mit dokumentarischen Praktiken in der Coronapandemie.
Bleiben wir bei Ihrem Thema, den Bildredaktionen: Gibt es Erkenntnisse, die Sie besonders überrascht haben?
Dr. Koltermann: Was mein eigenes Forschungsthema angeht, so fand ich es extrem erstaunlich, dass das Konzept des Homeoffice bis zum Ausbruch der Pandemie in den Bildredaktionen in Deutschland quasi inexistent war. Die Pandemie hat hier, wie in anderen Bereichen auch, zu einem extremen Digitalisierungsschub geführt und Bedingungen geschaffen, die sich so sicherlich nicht völlig zurück drehen lassen. Was die Visualisierung der Coronapandemie angeht, so hat mich überrascht, wie stark auf Symbolbilder zurückgegriffen wurde und dass vor allem beim Blick auf die Pandemie im Ausland an klassische Konzepte der Krisenfotografie angeknüpft wurde, wie es Karen Fromm sehr schön in ihrem Beitrag herausgearbeitet hat.
Was kann der Fotojournalismus nun aus dem doch oftmals peinlichen Einerlei der Pandemie-Bebilderung positiv lernen?
Dr. Koltermann: Eine wichtige Erkenntnis der Coronapandemie war das faktentreuer, wahrheitsorientierter Journalismus für eine Demokratie unverzichtbar ist. Dies zeigte sich vor allem in den ersten Monaten der Pandemie in einer verstärkten Nachfrage nach klassischen Nachrichtenformaten. Für den Fotojournalismus bedeutet dies, weiterhin Angebote für dieses Segment zu erstellen. Auch für ein zweites Phänomen der Coronapandemie, das extreme Erstarken des Wissenschaftsjournalismus gibt es durchaus Potential für den Fotojournalismus. So ist es extrem schade, dass die hervorragend recherchierten Beiträge aus dem Bereich des Wissenschaftsjournalismus oft nur mit Symbolbildern illustriert waren. Meiner Ansicht nach liegt großes Potential darin, einen fotografischen Wissenschaftsjournalismus zu entwickeln. Hier sehe ich etwa das Projekt „There is glory in Prevention“ von Patrick Junker als beispielhaft.
Darf ich da nachfragen? Was wären Eckpunkte eines künftigen "fotografischen Wissenschaftsjournalismus"?
Dr. Koltermann: Der Wissenschaftsjournalismus hat es sich ja zur Aufgabe gemacht, die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung allgemeinverständlich einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Damit verbunden ist für mich die Frage, wo hier die Rolle der Fotografie liegen könnte. Ich sehe in einem fotografischen Wissenschaftsjournalismus den Versuch, mit den Mitteln fotografischen Erzählens hinter die Fassade der wissenschaftlichen Forschung zu blicken. Konkret heißt dies, dass man gut recherchierte Texte über aktuelle Themengebiete der Wissenschaft wie den Klimawandel oder eben die Coronapandemie auch mit aktuellen fotojournalistischen Bildern kombinieren muss. Ich glaube, dass dies eine neue Nische für den Fotojournalismus sein könnte.
Das wäre ein Blick in die Zukunft. Zurück zur oftmals tristen Gegenwart: Wenn ich die Einfallslosigkeit der Bilder und der Bildsprachen - bunt gezeichnete Viren, klinische Ärzte mit Kittel und Maske und brav nebeneinander aufgereihte Impf-Spritzen - resümiere, dann ist mir nicht klar: Woran liegt es? An der mangelnden Kreativität der Fotografen - oder an der Einfallslosigkeit der Bildredaktionen? Gab es keine besseren Bilder - oder wurden die besseren nicht genommen? Was ist Ihr Eindruck?
Dr. Koltermann: Meiner Ansicht nach kommen da eine ganze Reihe von Faktoren zusammen. Zum einen ist es im Onlinejournalismus leider so, dass jeder Artikel bebildert werden muss. Da hat man sich von den eigenen Redaktionssystemen sowie den Vorgaben der großen Plattformen abhängig gemacht. Zum anderen wird die Bebilderung vor allem von Nachrichten und Meldungen von den einfachen Redakteur*innen übernommen. Die haben kaum oder kein Budget für Bilder abseits der Abonnements und extrem wenig Zeit. Oft fehlt auch die Kompetenz für Bildrecherche. Wir müssen uns leider klar machen, dass Bildredaktionen im Journalismus vor allem bei den großen überregionalen Tageszeitungen und Magazinen existieren. Im Lokaljournalismus sind sie weitestgehend unbekannt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Felix Koltermann (Hrsg.): Corona und die journalistische Bildkommunikation. Praktiken und Diskurse des Visuellen, Nomos Verlag 2021, 145 Seiten, 29,00 Euro, ISBN 978-3-8487-7887-4
Mit Beiträgen von Prof. Lars Bauernschmitt, Prof. Dr. Karen Fromm, Michael Hauri, Dr. Felix Koltermann, Anna Stemmler sowie Interviews mit Christian Mang und Julius Tröger
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