Interview image market 2022, Teil II


  • „Die Bilder sind Beifang. Das Gold sind die Daten“

    Im ersten Teil unseres Gespräches mit Prof. Lars Bauernschmitt sprachen wir weitgehend über die Gegenwart des Bildmarktes, wie er sich in der jüngsten Erhebung "image market 2022" darstellt. Nun aber wollen wir die Deskription der Gegenwart verlassen und uns in einem zweiten Gesprächsteil der Zukunft zuwenden. Etwa der Beschreibung gänzlich neuer Erlösmodelle für die Branche.

    Mit Lars Bauernschmitt sprach Stefan Hartmann
    • Ich weiß ja aus unseren früheren Gesprächen, dass Sie sich in anderem Kontext mit dem Themenkomplex "neue Erlösmodelle" beschäftigen. Also weg von den traditionellen Lizenzmodellen. Können Sie – ohne mich jetzt zu sehr zu überfordern – einige Worte zu diesen Ertragsmodellen geben? In welche Richtungen läuft das?
    Lars Bauernschmitt: Es gibt mittlerweile ganz unterschiedliche Tendenzen. Der Handel mit Daten wird ebenso zum Geschäftsmodell für Bildagenturen wie der Versuch, aus der Agentur eine kleine elitäre Vertretung von Bild-Autor:innen zu machen. Es gibt Agenturen, die scheinbar von Affiliate-Programmen leben und andere, die PR-Fotos verbreiten, die Unternehmen in Umlauf bringen, damit die auf den Bildern abgebildeten Waren verkauft werden.

    Um es für Sie einmal stichwortartig zusammenzufassen, sehe ich im Moment folgende Erlösmodelle bzw. Erlösfelder: Affiliate Marketing, Bildrecherche und Rechteklärung, Datenhandel, Endverbraucherprodukte, Foto-Workshops oder Foto-Schulen, kleine elitäre Gruppe, Sponsored Content. Einiges davon wurde schon seit Jahren immer wieder nebenbei mitgemacht.

    • Herr Prof. Bauernschmitt, als Hamburger greifen Sie ja gerne auf maritime Metaphern zurück. Darf ich Ihnen auch mal hanseatisch kommen? Jetzt mal Butter bei die Fische! Was sind denn die wichtigsten Ansätze aus dieser langen Liste?
    Lars Bauernschmitt: Ich versuche, die beiden aus meiner Sicht neuen und wichtigsten noch einmal einfach zu beschreiben: Zunächst die Affiliate Idee. Es gibt sogenannte Agenturen, die locken mit kostenlosen Bildern, die dann häufig von recht bescheidener Qualität sind, Kund:innen an, denen sie dann neben den kostenlosen Bildern auch honorarpflichtige Bilder anderer Agenturen, in der Regel der drei großen Adobe, Getty, Shutterstock, zeigen. Wählen Kund:innen dann ein solches Bild aus, wird die Agentur mit den kostenlosen Angeboten von der Agentur honoriert, deren Bild am Ende lizenziert wurde. Wir haben es da mit einer Art Trichter zu tun, wo ein scheinbar breites Angebot zu immer weniger Agenturen führt.

    Der zweite wichtige Trend ist der Datenhandel. Wir beobachten seit einiger Zeit, dass das Bild als Darstellung von etwas, das sich im Moment der Aufnahme vor der Kamera befand, an Bedeutung verliert, während die Bild- und die Transaktionsdaten immer wichtiger werden. Es gibt ja mittlerweile Angebote, da werden Bilder verschenkt – wenn die Nutzer:innen der, man kann sie kaum noch Bildagentur nennen, also jedenfalls dem Bilderlieferanten, das Recht zugestehen, die Daten der Transaktionen um das veröffentlichte Bild auszuwerten. Im Grunde genommen entwickelt sich auf dem Bildermarkt so etwas Ähnliches wie in anderen Bereichen des Lebens. Ich bekomme Rabatte – sprich Bilder, wenn ich bestimmte Verhaltensweisen für mein Gegenüber sichtbar mache.

    Das sind die beiden neueren Ideen. Die anderen Modelle stellen aus meiner Sicht eher eine Fokussierung des bisherigen Geschäfts dar und können aber durchaus gute Reaktionen auf die ständig sinkenden Nutzungshonorare sein.

    • Haben diese Modelle noch etwas mit „Fotografie" zu tun? Oder wird das spezifische Medium Fotografie darin künftig nur ein kleiner Teil eines großen Datenstromes sein, der sich durch Hochgeschwindigkeits-Leitungen zwängt, ohne eigentlichen Bezug zum visuellen Medium, wie wir es kennen?
    Lars Bauernschmitt: Mit Fotografie haben viele noch etwas zu tun. Ob das Foto selbst aber noch den eigentlichen Wert darstellt, ist eine andere Frage. Vielfach werden in Zukunft sicher die mit dem Bild verbundenen und bei der Veröffentlichung entstehenden Daten zur eigentlichen Ware. Die Daten sind das Gold, die Bilder im Grunde als eine Art Beifang austauschbar.

    • Würde das nicht das Aus für Bildagenturen, so wie wir sie heute noch kennen, bedeuten? Was bliebe danach von diesen Unternehmen noch übrig, welche genuinen Aufgaben verblieben ihnen in dieser Medienwelt noch?
    Lars Bauernschmitt: Wir erleben ja seit Jahren ganz unterschiedliche Entwicklungen, die gleichzeitig ablaufen. Agenturen waren schon immer kreativ. Ob es aber in zehn Jahren noch die Art Bildagenturen geben wird, die wie seit der vorletzten Jahrhundertwende Nutzungsrechte an Fotos vertrieben haben, wage ich zu bezweifeln.

    • Ergänzend gefragt: Wie sieht es auf der Bildkäuferseite aus? Würde der Beruf des Bildredakteurs gleichfalls gewandelt?
    Lars Bauernschmitt: Menschen, die Bilder recherchieren, wird es noch so lange geben, wie die KI das nicht übernehmen kann. Ich möchte aber nicht ausschließen, dass irgendwann Rechner Bilder zu Beiträgen suchen, einfach weil die KI den Text analysiert hat und dem Text Bilder beistellt, die ähnliche Botschaften transportieren. Brutal gesagt, sehen wir doch in vielen Zeitungen und Zeitschriften vor allem bei Beiträgen zu Servicethemen, Bilder, die nur als Logo, das heißt verdichtete symbolhafte Darstellung des Inhalts funktionieren. Das Foto von einem Stück Papier, auf dem das Wort „Vertrag“ steht, soll darauf hinweisen, dass der Artikel sich mit Fragen um den Abschluss eines Arbeitsvertrages befasst. Das Foto vom Thermostat der Heizung soll einen Beitrag zur Abrechnung der Nebenkosten illustrieren. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen, wir alle kennen diese Bilder. Was ich sagen will: Solche Bildauswahlen können auch Rechner vornehmen. Da brauche ich keine Bild-Fachleute für – die müssen in Zukunft die Software anlernen.

    • Bisher haben wir ja weitgehend im Konjunktiv geredet! Gibt es konkret in der Gegenwart denn Medienanbieter, die auf diese neuen, oben ausgeführten Erlösmodelle setzen? Und vor allem: Gibt es jemanden, der damit Gewinne macht?
    Lars Bauernschmitt: Ob jemand am Handel mit Daten Geld verdient, versuche ich gerade herauszubekommen. Sie werden es als erster erfahren. (lacht)

    • Business ist ja immer eine zweiseitige Angelegenheit: Jemand hat ein Angebot und jemand hat Bedarf an dem Angebot. Einseitig läuft da nichts. Was muss eigentlich an ökonomischen Randbedingungen und Faktoren zusammenkommen, damit sich neue Ertragsformen quasi flächendeckend in der Breite des Marktes etablieren können?
    Lars Bauernschmitt: Wir haben in den letzten dreißig Jahren so viele Veränderungen erlebt, die vor vierzig Jahren undenkbar waren. Es ist so viel in Bewegung, es wirken so viele Faktoren gleichzeitig auf den Bildermarkt. Deshalb möchte ich darüber nicht spekulieren.

    • Gehen wir zum Ende unseres Gesprächs mal weg von der Frage, wie man mit Bildern zukünftig Geld verdient, zur Frage der Produktion von Bildern. Auf dem Cepic-Bildagenturkongress auf Mallorca in diesem Jahr wurde ausgiebig die Frage der CGI - Computer Generated Imagery besprochen. Vor allem amerikanisch-optimistische Teilnehmer sehen darin große Chancen für den Markt. In Deutschland ist Panther Media auf dem Bereich synthetische Portraitbilder als Avangardist aktiv. Wie bewerten Sie – auch als Hochschullehrer für Fotografie angesprochen – diese Entwicklung, Bilder künftig mit Hilfe von KI am Rechner produzieren zu können? Kann man sich Fotografie ohne Fotografen vorstellen?
    Lars Bauernschmitt: Zunächst gilt es festzustellen, dass auch mittels KI erzeugte Bilder eine Vorlage brauchen, und das sind für Fotos eben Fotos. Fotos als Grundlage für mittels KI erzeugte Bilder zu verwenden, stellt also eine Nutzung dar, die mit den Urheber:innen vereinbart sein muss – und also auch honoriert werden muss. Zurück zu Ihrer Frage. Ich bin mir sicher, dass wir in Zukunft noch viel mehr computergenerierte Bilder zu sehen bekommen. Warum soll die Entwicklung auf die Autowerbung beschränkt bleiben, wo sie schon seit Jahren praktiziert wird. Ein Problem wird es natürlich, wenn solche am Rechner erzeugten Bilder in journalistischen Publikationen in dokumentierender Absicht veröffentlicht werden oder kein deutlicher Hinweis auf den Hintergrund der Entstehung erfolgt.

    Ich möchte aber bezweifeln, dass diese Technik noch von den Unternehmen eingesetzt wird, die wir im Moment noch Bildagenturen nennen. Diese Prozesse werden von Technik-Unternehmen entwickelt, die für kleines Geld an die nötigen Vorlagen, also echte Fotos, kommen.

    Ich glaube, dass in den nächsten Jahren sehr viele klassische Bildagenturen verschwinden werden – einfach weil sie aufgrund des Alters der Inhaber:innen geschlossen werden. Gleichzeitig verändert sich die Struktur der Anbieter:innen von Bildmaterial, weil immer mehr Firmen Nutzungsrechte an Bildmaterial vertreiben, deren Geschäftsmodell nicht das einer Bildagentur ist.

    Bilder werden in Zukunft von Unternehmen vertrieben, die ganz andere Ziele haben und die Bilder nur als Werkzeug mit verwenden oder als ein Produkt von vielen mit anbieten – zum Teil einfach als Add-on.

    • Herr Bauernschmitt, zum Glück bin ich heute multitask-fähig! Denn ich muss erstmal heftig schlucken bei dem, was Sie da "serviert" haben - und ihnen in gleichem Atemzug für das Gespräch danken.



    Bild: Angelina Vernetti

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