Berlin: Die Erfindung der Pressefotografie und ein Gespräch mit Dr. Katrin Bomhoff

  • Aus der Sammlung Ullstein 1894-1945




    Ausgehend vom Flaggschiff der "Berliner Illustrirten Zeitung", stellt eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum die fotografischen Bilderwelten einer der erfolgreichsten Zeitschriften des 19. und 20 Jahrhunderts vor. Das Massenblatt des Ullstein Verlages mit einer zeitweiligen Auflage von über 2 Millionen Exemplaren war Marktführer und erreichte breite Schichten der Bevölkerung. Die BIZ steht in der Ausstellung stellvertretend für die Geburt des neuen Mediums der Illustrierten und ihren Umgang mit der Fotografie: Ein Medium, das Sehgewohnheiten prägte und visuelle Sehnsüchte der Leser bediente. Die Schau dokumentiert den Einzug der Fotografie in die Zeitungswelt und die damit verbundene Entwicklung von modernen Zeitungspublikationen, die ihre Wirkungsmacht und ihren Publikumserfolg in wachsendem Maße über Bilder erzielten.

    Die Schau läuft vom 23. Juni bis 31. Oktober 2017 im Deutschen Historischen Museum, Unter den Linden 2, 10117 Berlin



    Mit Katrin Bomhoff, Axel Springer Syndication GmbH / ullstein bild, sprach Stefan Hartmann


    Pictorial: Frau Dr. Bomhoff, Sie haben auf der Ullstein-Seite die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum kuratiert. Mal ehrlich: Rutschte Ihnen nicht angesichts der Grundidee der Ausstellung, über ein halbes Jahrhundert Pressefotografie abdecken zu wollen, das Herz ein Stockwerk tiefer?

    Katrin Bomhoff: Die Möglichkeiten, mit den Werken unserer reichhaltigen fotografischen Sammlung tragfähige Ausstellungen zu gestalten, sind nahezu unbegrenzt. Allein diese Voraussetzung ist ein großer Motor und Ideengeber für Pläne wie das Ausstellungsvorhaben mit dem Deutschen Historischen Museum.

    So gesehen: Nein, kein Herz auf dem Weg in untere Etagen. In der Ullstein Sammlung steckt ein großes Potenzial, das immer wieder Ausstellungen im In- und Ausland ermöglichte und auch in Zukunft ermöglichen wird. Diese bislang nur in Fachkreisen bekannte Stärke des Bestandes wird mit einer Art Ullstein-Einzelausstellung im Deutschen Historischen Museum erstmals verdeutlicht. Und wir arbeiten mit einem sehr erfahrenen und souveränen Partner der deutschen Museumslandschaft zusammen.

    Pictorial: Immerhin doch ein sehr, sehr ambitioniertes Projekt! Deckt der Ausstellungszeitraum von gut 65 Jahren doch drei politische Systeme - Kaiserreich, Weimarer Republik und NS-Diktatur - sowie zwei Weltkriege ab. Daraus sollten dann kulturgeschichtlich relevante Presse-Motive extrahiert werden. Aber eben "nur" 300 Motive. Wie geht man da vor?

    Katrin Bomhoff: Die Schlussversion des Ausstellungskonzepts ist auch das Ergebnis der Zusammenarbeit mit der Museumskuratorin, Frau Carola Jüllig. Die Auswahl der Exponate aus drei verschiedenen Epochen ist geknüpft an die Veröffentlichungen der Fotografien in der Berliner Illustrirten Zeitung von 1894 bis 1945. Als Publikation des Ullstein Verlages avancierte die Zeitschrift zu einer der auflagenstärksten ihrer Zeit. Überdies sichert sie ressortübergreifend ein hohes Maß an inhaltlicher Vielfalt und Relevanz der Themen. Dadurch ist der große Rahmen gesteckt, innerhalb dessen sich hinreichend Spielraum für verschiedene inhaltliche Schwerpunkte der Ausstellung bietet.

    Pictorial: Können wir uns eine solche Kuratoren-Aufgabe als Prozess vorstellen? Ändern sich "Bedeutsamkeiten" oder ihre Priorität? Oder veränderte sich das Konzept gar im Laufe des Kuratierens?

    Katrin Bomhoff: Eine ganze Reihe von Gewichtungen verändert sich innerhalb des Entstehungsprozesses der Ausstellung. Allein die Bestandsrecherche und die Sichtung gliederten sich in mehrere Abschnitte. Zu einer unserer Prämissen gehörte, nicht nur die Aufnahmen namhafter und zumindest in der Fachwelt gut eingeführter Fotografinnen und Fotografen zu zeigen, sondern auch die Werke nicht oder bislang kaum bekannter Bildautoren. Und wie könnte man sich der Entdeckung einer selten gezeigten, aufschlussreichen Werkserie auch eines renommierten Pressefotografen verweigern? So wird es auch für den Ausstellungsbesucher ein dauernder Wechsel zwischen Erkennen und Entdecken bleiben.

    Pictorial: Gezeigt werden Bilder. Aber die kulturhistorisch interessanten Dinge stehen doch oftmals auf der Rückseite der Bilder. Da werden die redaktionellen Prozesse sichtbar. Das sei jetzt keine Metapher: Ein altes analoges Bild hat ja immer zwei Seiten.

    Katrin Bomhoff: Alle der gezeigten Fotografien haben eine Geschichte und sind durch viele Hände gegangen. Zeitgenössische Notizen auf der Rückseite sind daher für uns nicht nur wertvolle Hinweise auf die unterschiedlichen Veröffentlichungen, sondern auch auf den redaktionellen Alltag, auf die Zeitumstände und Entscheidungsprozesse. Natürlich sind diese handschriftlichen Fragmente von unterschiedlicher Aussagekraft. In der Ausstellung zeigen wir Beispiele, die in dem jeweiligen historischen Zusammenhang Aufschluss geben und ihre Qualität als Zeugnis der Epoche unter Beweis stellen.

    Pictorial: In tieferem Sinne ist die Schau damit ja auch eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Haus und seiner publizistischen Geschichte. Nötigt das zur Vorsicht?

    Katrin Bomhoff: Die fotografische Sammlung ist fest verwurzelt in der Geschichte des 1877 von Leopold Ullstein in Berlin gegründeten Zeitungs- und Zeitschriftenverlages, zu Beginn des 20. Jahrhunderts eines der größten und fortschrittlichsten Verlagshäuser Europas. Sein Werdegang ist in verschiedenen Schriften und zu verschiedenen Anlässen von Historikern erarbeitet und ausführlich dargelegt worden.

    Interessant für die Ausstellung ist hierbei, dass sich jeder Abschnitt der Verlagsgeschichte in der Sammlung nachvollziehen lässt. Sei es der konsequente Aufstieg des Verlages, seien es die publizistisch breit gefächerten 1920er Jahre oder die für Ullstein und die Pressefreiheit folgenschweren und schmerzhaften Einschnitte ab 1933.

    Jede Epoche spiegelt sich wider in der Sammlungsgeschichte, benennt nicht nur Verlagsleiter und Chefredakteure, sondern auch (bild-)redaktionelle Entscheidungen sowie die gestaltende und wegweisende Zusammenarbeit mit den Bildautoren.

    Pictorial: Wie ist es bei Axel Springer: Liegen die Bilder samt und sonders digital vor oder durften Sie sich noch im analogen Archiv-Keller staubig machen?

    Katrin Bomhoff: Obwohl der Großteil des historischen Bestandes bei ullstein bild digitalisiert vorliegt, ist die Arbeit mit den Originalfotografien und Glasnegativplatten ein wesentlicher Teil unseres Bereichs Sammlung & Ausstellung. Dieser Aspekt wird sich auch dem aufmerksamen Besucher des Deutschen Historischen Museums erschließen, denn mit Blick auf die digitalisierte Welt, in der wir uns bewegen, begibt der Betrachter sich in der Ausstellung auf die Spurensuche in sehr viel ursprünglichere Gebiete der Fotografie- und Mediengeschichte.

    Pictorial: Gezeigt werden also die Original-Fotografien, wie sie im physischen Archiv konserviert lagen. Also wirklich "Vintage"? Noch nicht einmal neue Abzüge oder Vergrößerungen? Kein Photoshop?

    Katrin Bomhoff: Definitiv kein Photoshop, doch: Retusche. Die Originalfotografien aus der Zeit von 1894 bis 1945 wurden für die Verlagsarbeit bzw. im Auftrag des Verlages produziert. Im Mittelpunkt dieses Ausstellungsprojekts stehen die veröffentlichten Aufnahmen und in Teilen auch die dazugehörigen, oft sehr aufschlussreichen Publikationen. Dafür greifen wir zurück auf einen Foto-Bestand, der gleichzeitig die Grundlage für die redaktionelle Arbeit war. Wir haben Beispiele von beherzter Retusche am Material bis hin zu unverkennbarer Manipulation.

    Das vollständige Interview mit Dr. Katrin Bomhoff finden Sie in der Printausgabe der Pictorial 3-2017, die dieser Tage erscheint.

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