Vor einigen Tagen publizierten wir hier die Erklärung zu den Bildermarkt-Trends 2020. Damals kündigten wir ein Gespräch mit dem wissenschaftlichen Leiter der Untersuchung, Prof. Lars Bauernschmitt, an, um Hintergründe zur Erhebung und den Ergebnissen zu erfahren. Die 2020-Erhebung ist insofern ein Novum, dass - unter der wissenschaftlichen Mitarbeit von Maximilian von Lachner - nicht nur Bildagenturen, sondern auch Fotografen - soweit sie in Verbänden wie etwa BFF, Freelens, DGPh oder gewerkschaftlich organisiert sind - in die Untersuchung einbezogen wurden.
Da das Gespräch doch recht umfangreich wurde, werden wir in dieser Woche den ersten Teil bringen, der sich vom Schwerpunkt her mit den "Fotografenfragen" beschäftigt. Teil 2, hier richtet sich der Fokus stärker auf die Bildagenturen, folgt in der nächsten Woche.
Mit Lars Bauernschmitt (Bild links) sprach Stefan Hartmann (Bild rechts). Das Foto stammt von Lennart Marian Woock
- Pictorial: Herr Professor: Es ist ja jetzt bereits Ihre dritte Untersuchung zum Bildmarkt. Was - welches der vielen Resultate - hat Sie diesmal am Meisten erstaunt? Was hat sie verblüfft, was hätten Sie vor der neuen empirischen Erhebung klar anders eingeschätzt?
Was aber noch spannender für mich war, ist die Tatsache, dass Fotograf*innen und Agenturen an bestehenden Arbeitsweisen und Vertriebsmodellen festhalten wollen. Aktuell gibt es ja immer wieder Stimmen, die die Beziehungen zwischen Agenturen und Fotograf*innen wegen der sinkenden Honorare infrage stellen, und die erklären, dass sich viele Fotograf*innen Gedanken über eine Beendigung der Zusammenarbeit mit Bildagenturen machen würden.
Das scheint so allgemein aber nicht zu stimmen. Ziemlich genau die Hälfte der an der Erhebung beteiligten Fotograf*innen arbeitet mit Agenturen zusammen, die andere Hälfte tut das nicht. Die Hälfte der Fotograf*innen, die mit Agenturen zusammenarbeitet, stellt die Beziehungen nicht infrage, sondern will zum Teil sogar noch intensiver mit Agenturen zusammenarbeiten. Auf der anderen Seite will die andere Hälfte, die eben nicht mit Bildagenturen zusammenarbeitet, das auch in Zukunft nicht tun.
In dem Zusammenhang finde ich es auch interessant, dass die Selbstvermarktung über Plattformen für die Fotograf*innen, die sich an unserer Erhebung beteiligt haben, kaum eine Rolle spielt.
- Pictorial: Was mich als journalistischen Betrachter diesmal, 2020, am Meisten erstaunt hat, sind die extremen Einkommensunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Fotografen! Wir alle kennen das Problem der Gender Pay Gap. Aber hier haben wir keine Gap (übersetzt: Spalt, Lücke), sondern ein Riesenloch! Zwei Frauen verdienen zusammen nicht so viel wie ein Mann: im Mittel ein Jahresumsatz von 25.628 Euro versus 53.436 Euro. Können Sie uns da bitte ein wenig statistisches Licht reinbringen?
- Pictorial: Das meint: Dass es unter den männlichen Fotografen einige echte Spitzenverdiener gibt, die das Bild verzerren. Bei den Damen gibt es solche "Ausreißer nach oben" dagegen kaum?
- Pictorial: Sehen Sie noch weitere Probleme?
- Pictorial: Bleiben wir noch einen Augenblick bei den Fotografen? Bezeichnend fand ich auch die sehr unterschiedlichen Umsatzsituationen zwischen einzelnen fotografischen Disziplinen. Überall wird die engagierte Fotoreportage, der Bildjournalismus, gelobt und hochgehalten, doch ausgerechnet hier verdient man im Schnitt am wenigsten!
Wir müssen erleben, wie Fake News den Diskurs bestimmen und Politiker, die nachweislich lügen, damit über Jahre ungestraft durchkommen und sogar Wahlen gewinnen. Ein unabhängiger Journalismus wird deshalb heute immer wichtiger. Dass in dieser Zeit die Erlössituation der Bildjournalist*innen immer schlechter wird, finde ich bedenklich. Es darf nicht sein, dass Journalismus in Zukunft nur entsteht, wenn Menschen sonst keine besser bezahlten Jobs haben, oder nur noch diejenigen in den Journalismus gehen, die woanders nicht unterkommen können. Dazu ist er zu wichtig.
- Pictorial: Herr Bauernschmitt, Sie sind ja in erster Linie Hochschulprofessor, der Fotografen akademisch ausbildet - und von dem ich persönlich weiß, dass er seinen Studenten alles Gute gönnt. Was sagen Ihnen als Lehrer solche Zahlen? Ist das ein Anlass zur Selbstkritik an der akademischen Ausbildung an deutschen Instituten und Schulen?
Aber auch in der Lehre müssen wir uns dem Wandel stellen. Ich unterrichte an einem Studiengang der „Fotojournalismus und Dokumentarfotografie“ heißt, ein Name der eigentlich überholt ist, weil die berufliche Realität eine bildjournalistische ist. Das heißt, dass unsere Absolvent*innen, die journalistisch arbeiten wollen, mittlerweile selbstverständlich auch Bewegtbild, O-Ton und Interviews liefern müssen. Ich bin deshalb schon lange im Austausch mit Kollegen aus der Journalistik, dem Fernsehsehjournalismus und dem Mediendesign, weil wir feststellen, dass sich unsere Felder immer weiter annähern, wir in der Praxis immer öfter Techniken der anderen einsetzen und unsere Absolvent*innen für ihre berufliche Tätigkeit immer mehr Know-how aus den Disziplinen benötigen, von denen wir bisher abgegrenzt agiert haben. Wir denken deshalb über einen Ausbau der Kooperationen nach, um auf die Veränderung des Berufsfeldes zu reagieren.
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